BUNDESSOZIALGERICHT


Im Namen des Volkes


Urteil


in dem Rechtsstreit


Az: 1/3 RK 13/90


Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:


gegen


Allgemeine Ortskrankenkasse München,

München 2, Maistraße 43 - 47,

Beklagte und Revisionsbeklagte.


Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 26.

Februar 1992 durch den Präsidenten Prof. Dr. R., die Richterin Dr. W. und

den Richter K. sowie die ehrenamtliche Richterin B. und den

ehrenamtlichen Richter B. für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28.

Juni 1990 wird zurückgewiesen.


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Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren

nicht zu erstatten.


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Gründe:


I

 

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung von Krankengeld für die Zeit vom

12. November 1985 bis 20. März 1986.

Der in Jugoslawien geborene Kläger war seit 1968 in der Bundesrepublik als Arbeiter

beschäftigt und bezog zuletzt als Arbeitsloser Leistungen vom Arbeitsamt. Mit dessen

Zustimmung begab er sich für die Zeit vom 20. August 1985 bis 17. September 1985 auf

Heimaturlaub. Dort wurde er am 11. September 1985 wegen zahlreicher Erkrankungen

zunächst drei Wochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Der jugoslawische

Versicherungsträger teilte dies der Beklagten, bei der der Kläger aufgrund des

Leistungsbezuges krankenversichert war, auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt mit.

Später gingen weitere Meldungen über Arbeitsunfähigkeitszeiten bei der Beklagten ein,

wobei noch zusätzliche Erkrankungen genannt wurden.

Nachdem der Vertrauensärztliche Dienst unter Berücksichtigung der beigezogenen

Unterlagen von einer Arbeitsunfähigkeit von zwei Monaten ausgegangen war, bewilligte

die Beklagte für die Zeit nach Beendigung der Leistungserbringung durch das Arbeitsamt

Krankengeld bis zum 11. November 1985. Gleichzeitig erbat sie bei einem eventuellen

Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit um die Übersendung neuer ärztlicher Befunde. Weil

nach Auffassung des Vertrauensärztlichen Dienstes aus den vom Kläger übersandten

neuen ärztlichen Unterlagen auf eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht geschlossen

werden könne, lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld über den

11. November 1985 hinaus ab (Bescheid vom 18. Februar 1986).

Obwohl der jugoslawische Versicherungsträger inzwischen Arbeitsunfähigkeit bis

einschließlich 20. März 1986 bestätigt und gemeldet hatte, sah die Beklagte den

Widerspruch nicht als begründet an, da die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht

nachgewiesen sei (Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1986).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) München abgewiesen,

nachdem es erfolglos versucht hatte, weitere Krankenunterlagen aus Jugoslawien zu

erhalten (Urteil vom 26. Oktober 1988). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG)

zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juni 1990). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Dem

Kläger stehe Krankengeld für den streitigen Zeitraum nicht zu, weil das Bestehen von

Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht nachgewiesen sei. Der

Versicherte sei bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitsuchend gemeldet und damit

weitgehend auf andere Tätigkeiten verweisbar gewesen. Es fehle jeder Nachweis

darüber, daß die behaupteten Krankheiten sich derart langfristig auf seine Arbeitsfähigkeit


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ausgewirkt haben könnten und daß keine ihm zumutbare Arbeit möglich gewesen wäre.

Die Beklagte müsse entgegen der Ansicht des Klägers die Arbeitsunfähigkeitsmeldung

des jugoslawischen Versicherungsträgers nicht ungeprüft übernehmen. Eine solche

Rechtsfolge lasse sich aus dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen

nicht entnehmen. Der Kläger könne auch keine Rechte aus den europäischen Verträgen

und den aus ihnen hervorgegangenen EG-Verordnungen Nr 1408/71 und 574/72 sowie

der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des

Bundessozialgerichts (BSG) herleiten. Diese Regelungen seien mit dem

deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen nicht vergleichbar. Der

Grundsatz, daß die Beklagte als leistender Versicherungsträger entsprechend den

Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Krankengeldgewährung zu

entscheiden habe, werde auch nicht durch das dem Kläger ausgehändigte Merkblatt, in

dem Art 4 des Zusatzabkommens zum deutsch-jugoslawischen

Sozialversicherungsabkommen wiedergegeben sei, aufgehoben. Hiermit habe sich die

Beklagte nicht verpflichtet, ihre Entscheidungskompetenz gesetzwidrig auf den jugoslawi-

schen Versicherungsträger zu verlagern. Zwar könne es für den Versicherten

unbefriedigend sein, wenn das Krankengeld wegen unterschiedlicher Auffassungen von

der Arbeitsunfähigkeit zwischen den jugoslawischen Ärzten bzw Krankenver-

sicherungsgemeinschaften einerseits und den deutschen Krankenkassen andererseits

verweigert werde, obwohl er alles getan habe, was ihm das Abkommen vorschreibe und

er wenig Einfluß auf die Aussagekraft der Bescheinigungen und die durchgeführten

Untersuchungen habe. Dies könne aber nicht dazu führen, die Beklagte zu verpflichten,

ungeprüft gesetzlich geforderte Voraussetzungen zu unterstellen, zumal sie selbst

keinerlei Einfluß auf die von ihr nicht zu vertretenden Mängel bei der Anwendung des

Abkommens habe.


Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 30

Abs 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -(SGB I), 182 Abs 1 Nr 2, Abs 3 und 183 RVO

sowie des Art 29 iVm Art 4 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens.

Das LSG habe übersehen, daß, unabhängig davon, wie nach innerstaatlichem Recht das

Bestehen von Arbeitsunfähigkeit festgestellt werde, Ausnahmen durch das Recht der

europäischen Gemeinschaften oder durch zwischenstaatliche Abkommen bestimmt

werden könnten. Der Entscheidungskompetenz der Beklagten über die Arbeitsunfähigkeit

stünden Art 29 iVm Art 4 des Abkommens und die übrigen Vereinbarungen mit

Jugoslawien entgegen. Hiernach leisteten Träger, Verbände von Trägern, Behörden und

Gerichte der Vertragsstaaten einander bei der Durchführung der in Art 2 Abs 1

bezeichneten Rechtsvorschriften und des Abkommens gegenseitige Hilfe. Die Amtshilfe

erstrecke sich ausdrücklich auch auf ärztliche Kontrolluntersuchungen. Ferner bestimme

Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, daß die Pflicht des Versicherten,

dem zuständigen Träger das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, nur gegenüber

dem Träger des Aufenthaltsortes bestehe. Entsprechend werde der Versicherte von


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seiner Krankenkasse durch Merkblätter informiert. Das gesamte Regelwerk des

Abkommens mache deutlich, daß die Mitteilung über das Bestehen und die Überwachung

der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich bei dem örtlich zuständigen jugoslawischen

Krankenversicherungsträger liege. Da das Abkommen keinen Vorbehalt gegen die

Feststellung der jugoslawischen Kontrollärzte enthalte, stehe den deutschen

Krankenkassen keine eigene Feststellungs- und Kontrollbefugnis hinsichtlich der

Arbeitsunfähigkeit zu. Für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und deren Kontrolle solle

nach dem Abkommen und den Zusatzvereinbarungen das Recht des Aufenthaltsstaates

maßgebend sein. Das sei der eindeutige Wille der vertragschließenden Staaten gewesen.

Falls bei dem deutschen Versicherungsträger berechtigte Zweifel an der Richtigkeit des

Ergebnisses von Kontrolluntersuchungen bestehen sollten, müsse er dieselben über den

zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger ausräumen lassen und gegebenenfalls

auf seine Kosten eine stationäre Beobachtung in einem jugoslawischen Krankenhaus

beantragen. Er, der Kläger, habe alle seine Mitwirkungspflichten erfüllt und mit der

Übersendung der Mitteilung über das Bestehen oder Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit

durch den jugoslawischen Träger zugleich den ihm obliegenden Nachweis der Arbeits-

unfähigkeit geführt.


Der Kläger beantragt,


die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1990 und des

Sozialgerichts München vom 26. Oktober 1988 aufzuheben und die Beklagte unter

Aufhebung des Bescheides vom 18. Februar 1986 in der Gestalt des

Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 1986 zu verurteilen, ihm Krankengeld über

den 11. November 1985 hinaus bis einschließlich 20. März 1986 zu gewähren.


Die Beklagte beantragt,


die Revision zurückzuweisen.


II


Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den

11. November 1985 hinaus.


Nach § 182 Abs 1 Nr 2 RVO, der mit Wirkung ab 1. Januar 1989 durch Art 5 Nr 2 des

Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I, S 2477)

aufgehoben wurde, hier jedoch noch anwendbar ist, wird Krankengeld gewährt, wenn die

Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit

muß gemäß § 182 Abs 3 RVO von einem Arzt festgestellt werden, wobei es unerheblich

ist, aus welchem Anlaß und zu welchem Zweck diese Feststellung getroffen wird

(BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12). Die Feststellung kann auch durch einen


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ausländischen Arzt erfolgen. Dem während eines Urlaubsaufenthaltes im Ausland

erkrankten Versicherten steht - sofern ein Sozialversicherungsabkommen

entsprechendes regelt - deshalb auch Krankengeld für die Zeit des Auslandsaufenthaltes

zu, in der er nachweislich arbeitsunfähig ist. Bestand kein Sozialversicherungsabkommen

mit dem Aufenthaltsstaat, war Krankengeld in der Zeit der Geltung des § 182 RVO

trotzdem bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit zu gewähren (BSGE 31, 100, 101 f = SozR

Nr 39 zu § 182 RVO). Ab 1. Januar 1989 gilt demgegenüber § 16 Abs 1 Nr 1

Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Hiernach ruht der

Anspruch auf Leistungen, solange sich der Versicherte außerhalb des Geltungsbereiches

dieses Gesetzes aufhält, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Solche Ausnahmen

sind Regelungen im zwischen- bzw überstaatlichen Recht, insbesondere also in

Sozialversicherungsabkommen. Ansonsten kann Krankengeld während eines

Auslandsaufenthaltes nicht mehr gewährt werden (BT-Drucks 11/2237, S 165).


Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Beklagte an die Feststellung der

Arbeitsunfähigkeit durch einen jugoslawischen Arzt oder an die Meldung des

jugoslawischen Versicherungsträgers nicht gebunden. Eine solche Bindung läßt sich

insbesondere nicht aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und

der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom

12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, S 1438) idF des Änderungsabkommens vom

30. September 1974 (BGBl II 1975, S 390) - zukünftig Abkommen genannt - und der

Durchführungsvereinbarung zum Abkommen entnehmen.


Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens sieht vor, daß, soweit das Abkommen nichts anderes

bestimmt, die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von

Ansprüchen auf Leistungen oder Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von

Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die Staatsangehörigen

gelten, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten. Diese Regelung enthält

den Grundsatz der uneingeschränkten Leistungsgewährung in dem anderen Vertrags-

staat (Denkschrift der Bundesregierung zum Abkommen, BT-Drucks V/4124).

Krankengeld ist nach dem Abkommen also grundsätzlich auch dann zu zahlen, wenn die

Arbeitsunfähigkeit in Jugoslawien eintritt. Weitere Regelungen, insbesondere hinsichtlich

der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, beinhaltet Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens

nicht. Sozialversicherungsabkommen enthalten - anders als bei den Sachleistungen, die

im allgemeinen nach dem Recht des Aufenthaltsstaates gewährt werden (vgl Art 15 Abs 2

des Abkommens und Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit

ausländischen Staaten, Bd I, Allgemeiner Teil, S 296; Baumeister in Gesamtkommentar

zur Sozialversicherung, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 15 Anm 2; Neumann-Duesberg,

DOK 1985, S 302, 309) - regelmäßig keinen Eingriff in das innerstaatliche Recht

hinsichtlich der Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld (Begriff der

Arbeitsunfähigkeit) und bezüglich der Höhe der Geldleistungen. Es bleiben vielmehr die


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für den zuständigen Träger nach innerstaatlichem Recht geltenden Vorschriften

maßgebend (Plöger/Wortmann, aaO, Bd I, Allgemeiner Teil, S 395). Diese allgemeine

Regelung gilt auch für das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen (vgl

dazu Art 16 des Abkommens). Hiernach werden auf Ersuchen der deutschen

Krankenkassen  Geldleistungen vom jugoslawischen Sozialversicherungsträger

ausgezahlt, woraus sich gleichzeitig ergibt, daß die Prüfung der

Anspruchsvoraussetzungen und der Höhe und Dauer der auszuzahlenden Geldleistungen

Aufgabe der deutschen Krankenkassen bleibt (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugosla-

wien, Art 16 Anm 1). Aus Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens läßt sich also eine Bindung

des deutschen Versicherungsträgers an die Feststellung der jugoslawischen Ärzte oder

Krankenversicherungsgemeinschaften nicht entnehmen.


Gleiches gilt für Art 15 Abs 2 des Abkommens, denn er enthält lediglich die Regelung,

daß die Sachleistungen - von gewissen Ausnahmen abgesehen - nach den für den Träger

des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften gewährt werden. Für Geldlei-

stungen gilt diese Vorschrift damit nicht.


Gemäß Art 29 Abs 1 Satz 1 des Abkommens leisten die Träger, Verbände von Trägern,

Behörden und Gerichte der Vertragsstaaten einander bei Durchführung der vom

Abkommen umfaßten Rechtsvorschriften und dieses Abkommens gegenseitige Hilfe, als

wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an. Art 29 Abs 1 Satz 1 gilt, wie

Abs 2 dieser Vorschrift regelt, auch für ärztliche Untersuchungen. Nach der Denkschrift

der Bundesregierung enthalten die Art 29 bis 38 des Abkommens die auch sonst üblichen

Regelungen für das Zusammenwirken der in den beiden Staaten mit der Durchführung

des Abkommens betrauten Stellen. In Art 29 sind also Vorschriften über die Rechts- und

Amtshilfe enthalten. Die deutschen Krankenkassen können sich daher jugoslawischer

Ärzte für Untersuchungen und zu Kontrollzwecken bedienen, indem sie sich im Wege der

Amtshilfe an die zuständige Krankenversicherungsgemeinschaft wenden. Die

Formulierung "als wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an" umschreibt

lediglich Art und Umfang der Amts- und Rechtshilfe. Deutsche Sozialversicherungsträger

haben bei der Erbringung der Amtshilfe daher die Regelungen der §§ 3 ff

Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X), aber auch § 35 SGB I iVm §§ 67 ff

SGB X über die Offenbarung von Daten, die unter das Sozialgeheimnis fallen, zu

beachten (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 29 Anm 1; Koch/Hartmann,

Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der

Angestelltenversicherung - zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht -Bd I, Allgemei-

ner Teil, Anm 9.3.). Ärztliche Untersuchungen müssen unter Berücksichtigung der §§ 62,

65 SGB I durchgeführt werden. Umgekehrt haben die jugoslawischen

Versicherungsträger bei Untersuchungen in ihrem Staat die für sie geltenden Verfah-

rensvorschriften anzuwenden.


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Eine weitere - über den dargestellten Inhalt hinausgehende - Regelung, insbesondere

über die Begründung materiell-rechtlicher Leistungsansprüche oder die Bindung

deutscher Sozialversicherungsträger an die im Rahmen der Amtshilfe getroffenen

Feststellungen, kann aus Art 29 des Abkommens nicht entnommen werden. Der Wortlaut,

dem bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge im allgemeinen eine größere

Bedeutung beizumessen ist als bei der Auslegung innerstaatlicher Gesetze (BSGE 36,

125, 126 = SozR Nr 16 zu § 1303 RVO; BSGE 39, 284, 287 = SozR 2200 § 1303 Nr 3;

BSGE 55, 131, 134 = SozR 6555 Art 26 Nr 1; Gobbers, Gestaltungsgrundsätze des

zwischenstaatlichen und überstaatlichen Sozialversicherungsrechts, 1980, S 10 mwN),

läßt die vom Kläger behauptete Bindung an die in Jugoslawien getroffenen Feststellungen

nicht erkennen. Er ist nicht unklar, mißverständlich oder gar mehrdeutig; die

wortlautmäßige Auslegung führt auch nicht zu unvernünftigen, mit dem Ziel und Zweck

der Bestimmung und des Vertrages unvereinbaren Ergebnissen, so daß eine andere

Auslegung erforderlich wäre. Auch läßt der in der Denkschrift zum Abkommen

manifestierte Wille der Vertragspartner keine andere Auslegung zu.


Nach Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, auf den sich der Kläger

weiter beruft, besteht die Pflicht des Versicherten, dem zuständigen Träger das Vorliegen

der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, bei Anwendung des Art 4 Abs 1 des Abkommens nur

gegenüber dem Träger des Aufenthaltsortes. Tritt bei einem bei einer deutschen

Krankenkasse Versicherten in Jugoslawien Arbeitsunfähigkeit ein, so enthebt ihn diese

Bestimmung lediglich der Verpflichtung, das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit dieser

Krankenkasse bzw beim Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 3 Abs 2

Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) dem Arbeitgeber und der Krankenkasse zu melden, um

ein Ruhen des Krankengeldanspruches nach § 216 Abs 3 RVO (ab 1. Januar 1989 § 49

Abs 1 Nr 5 SGB V) oder des Lohnfortzahlungsanspruches nach § 5 Nr 1 LFZG zu

verhindern. Es genügt, wenn er die jugoslawische Krankenversicherungsgemeinschaft

vom Bestehen der Arbeitsunfähigkeit unterrichtet; diese leitet die Mitteilung mittels des

vorgesehenen Vordruckes Ju 4 an die deutsche Krankenkasse weiter, die wiederum

gegebenenfalls den Arbeitgeber informiert. Hierüber werden die Versicherten in dem

Merkblatt Ju 93 unterrichtet. Weitere Regelungen sind in Art 3 der

Durchführungsvereinbarung nicht enthalten, insbesondere läßt sich aus dieser Regelung

keine Bindung an die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch jugoslawische Ärzte oder

jugoslawische Versicherungsträger entnehmen (vgl auch BSG SozR 2200 § 369 b Nr 1

und BSG USK 83 160 zum deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommen).


Schließlich sind die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 10. September 1987 (BSG

SozR 6055 Art 18 Nr 2) und das ihr zugrundeliegende Urteil des EuGH vom 12. März

1987 (SozR 6055 Art 18 Nr 1) nicht einschlägig. Die dort angenommene Bindung der

deutschen Krankenkassen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des

Wohnortes getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der


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Arbeitsunfähfigkeit betrifft nur Staaten der Europäischen Gemeinschaft, zu denen

Jugoslawien nicht gehört. Art 18 der EWG-VO Nr 574/72 hat zudem einen völlig anderen

Wortlaut als die Vorschriften im hier anwendbaren Abkommen und enthält auch inhaltlich

ganz unterschiedliche Regelungen.


Wird somit der Grundsatz, daß krankenversicherungsrechtliche Geldleistungen vom

deutschen Versicherungsträger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu

gewähren sind, durch das Abkommen nicht berührt, sind das Vorliegen von

Arbeitsunfähigkeit und der Anspruch auf Krankengeld nach § 182 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 3

RVO zu prüfen. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen

Voraussetzungen die Krankenkasse anhand ärztlich erhobener Befunde festzustellen hat.

Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat lediglich die

Bedeutung einer ärztlichen Stellungnahme, die die Grundlage für den über den

Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet (vgl BSGE 54,

62, 65 = SozR 2200 § 182 Nr 84; BSG SozR 2200 § 216 Nr 8; Höfler in Kasseler

Kommentar zur Sozialversicherung, § 46 RdNr 7; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale

Krankenversicherung, § 182 Anm, 4.1; Krauskopf, Soziale

Krankenversicherung - SGB V -, § 44 RdNr 15; Peters, Handbuch der

Krankenversicherung, § 182 Anm 13b). Aus den Bestimmungen der §§ 182 Abs 3 und

369b RVO (nun § 46 Satz 1 Nr 2 und § 275 SGB V) folgt, daß die Krankenkasse die

ärztliche Feststellung über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nur überprüft (BSG SozR

2200 § 216 Nr 8), während sie die sonstigen Leistungsvoraussetzungen (zB

Mitgliedschaft  mit Krankengeldanspruch, Erschöpfung des Leistungsanspruches

innerhalb der Blockfrist) selbständig ermittelt und dann über die Krankengeldgewährung

entscheidet. Den Bescheinigungen ausländischer Ärzte kommt dabei nicht von vornherein

ein geringerer Beweiswert zu als denen deutscher Ärzte (BSGE 31, 100, 102 = SozR

Nr 39 zu § 182 RVO; BAGE 48, 115, 119; BAG EzA § 3 LFZG Nr 11; LSG

Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1984, 361, 362). Da der Begriff der Arbeitsunfähigkeit den

deutschen Ärzten vertraut ist (vgl jetzt die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vom

3. September 1991, BKK 1991, S 707 = WzS 1991, S 326), genügt es in der Praxis

regelmäßig,

wenn sie Arbeitsunfähigkeit bescheinigen (BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12).

Kenntnisse über den Begriff der Arbeitsunfähigkeit iS der deutschen Krankenversicherung

und die versicherungsrechtliche Bedeutung dieser Feststellung sind ausländischen Ärzten

dagegen normalerweise fremd (BSGE 31, 100, 102 = SozR Nr 39 zu § 182 RVO). Zur

Kontrolle kann die Krankenkasse daher bei Zweifeln über das Vorliegen von

Arbeitsunfähigkeit, insbesondere wenn die aus dem Ausland mitgeteilten Diagnosen und

Befunde nicht jede Erwerbstätigkeit ausschließen und - wie hier - für arbeitslose Arbeiter

eine weite Verweisbarkeit in Betracht kommt (BSG SozR 4100 § 105b Nr 4), oder wenn

die genannten Diagnosen Zweifel an der Dauer der Arbeitsunfähigkeit weken, den

Medizinischen Dienst heranziehen. Eine Überprüfung durch den Vertrauensärztlichen bzw


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Medizinischen Dienst ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein ausländischer Arzt

die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. § 369b RVO enthält, ebenso wie § 275 SGB V,

keine Einschränkung dahingehend, daß nur die Feststellungen inländischer Ärzte

überprüft werden könnten. Einen Ermessensfehler bei der Entscheidung über die

Erforderlichkeit der Untersuchung (BSG SozR 2200 § 369b Nr 1) hat das

Berufungsgericht nicht festgestellt.


Schließlich hat das LSG nicht den Grundsatz der objektiven Beweislast verletzt. Er regelt,

wen die Folgen treffen, wenn das Gericht bestimmte Tatsachen nicht feststellen kann. Es

gilt der Grundsatz, daß die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des

Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von dem Beteiligten zu tragen ist, der aus dieser

Tatsache ein Recht herleiten will (BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG;

Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl, 1991, § 103 RdNr 19 mwN). Die Regeln über

die objektive Beweislast können nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erst

angewendet werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind (BSG

SozR 2200 § 317 Nr 2; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Sie entheben den Tatrichter nicht

seiner insbesondere durch § 103 und § 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen

Würdigung der erhobenen Beweise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände

des Einzelfalles. Die Frage der Beweislastverteilung stellt sich erst dann, wenn es nach

Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht gelungen ist,

die bestehende Ungewißheit über eine ungeklärte Tatsache zu beseitigen (BSGE 30, 121,

123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Trotz seines engen

Zusammenhangs mit dem Verfahrensrecht gehört der Grundsatz der objektiven

Beweislast zum materiellen Recht (BSG SozR 1500 § 161 Nr 26; Meyer-Ladewig, aaO,

§ 103 RdNr 19; BVerwGE 45, 131, 132; BGH NJW 1983, 2032, 2033; NJW 1985, 1774,

1775; Kopp, Komm zum VWGO, 8. Aufl 1989, § 108 RdNr 12; aA Peters/Sauters/Wolff,

Komm zum SGG, § 103 Anm 4 S II/74 - 14 -; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl 1987,

S 274). Seine richtige Anwendung ist deshalb vom Senat auch grundsätzlich ohne

entsprechende Rüge durch den Kläger zu prüfen.


Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die medizinischen Grundlagen für die

Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht mehr

aufklärbar sind. Hierbei handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, an die das Revi-

sionsgericht nach § 163 SGG gebunden ist, wenn die Beteiligten - wie im vorliegenden

Falle - dagegen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben haben. Daß

die Vorinstanz nach Auffassung des erkennenden Senats nicht alle Möglichkeiten der

Aufklärung genutzt hat, läßt die Bindung nicht entfallen. Das Revisionsgericht wäre nur

dann nicht nach § 163 SGG gebunden, wenn die tatrichterliche Feststellung der nicht

weiteren Aufklärbarkeit mit anderen Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil im

Widerspruch stünde (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139). Das ist hier aber nicht der


 -  11  -


Fall. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG den Grundsatz der objektiven

Beweislast angewendet hat und davon ausgegangen ist, daß der Kläger die Folgen der

Nichtfeststellbarkeit der von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit zu tragen hat.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.


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  • 11 BA 4/75
  • 11 BA 8/75
  • 11 BAr 47/92
  • 12/11 BA 116/75
  • 13 BJ 207/92
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  • II ZR 124/76
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  • VIII ZR 298/83
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  • 9/9a RVs 19/86
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  • 9 RV 24/94
  • B 14 EG 6/98 B
  • B 1 KR 6/10 BH
  • B 1 KR 43/04 B
  • B 1 KR 110/04 B
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  • B 1 KR 155/06 B
  • B 2 U 396/02 B
  • B 4 AS 69/10 S
  • B 4 RA 131/98 B
  • B 8 SO 6/11 R
  • B 8 SO 54/10 B
  • B 9 SB 90/12 B
  • L 5 B 314/08 KR ER
  • L 5 KR 43/07
  • S 12 KR 1065/04
  • S 13 SB 486/10
  • S 14 KR 60/08
  • S 14 KR 69/08 ER
  • S 22 AS 6/05 ER
  • S 6 AS 572 13/28
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