BUNDESVERFASSUNGSGERICHT


-1 BvR 1411/91 -


In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde


des Herrn


- Bevollmächtigter Rechtsanwalt M.,

gegen den Beschluß des Bundessozialgerichts

vom 9 August 1991 - 2 BU 15/9 -

und Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe


hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs-

gerichts durch den Präsidenten H.

und die Richter G.,

S.

am 18 Dezember 1991 einstimmig beschlossen:


Die Verfassungsbeschwerde wird nicht

zur Entscheidung angenommen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozeß-

kostenhilfe wird abgelehnt.


- 2 -


Gründe:


Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der

Beschwerdeführer gegen die Ablehnung der Bewilligung von

Prozeßkostenhilfe wendet und soweit er hinsichtlich der Ver-

werfung der Nichtzulassungsbeschwerde die Verletzung des

Art. 11 GG rügt. Im übrigen bietet die Verfassungsbeschwerde

keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 93b Abs. 1 Satz 1

Nr. 2 BVerfGG ).


1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde verlangt

nach § 92 BVerfGG, daß der Beschwerdeführer innerhalb der

Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG die Möglichkeit einer Grund-

rechtsverletzung hinreichend deutlich darlegt (vgl. BVerfGE

81, 347 [355]). Dies ist hier hinsichtlich der Ablehnung der

Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht der Fall. Es ist

verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gewährung

von Prozeßkostenhilfe davon abhängig gemacht wird, daß die

beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf

Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81,

347 [357]). Es ist aufgrund des Vorbringens des Beschwerde-

führers nicht erkennbar, daß das Bundessozialgericht bei der

ihm obliegenden Auslegung und Anwendung des § 114 Satz 1 ZPO

die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten

Rechtsverfolgung und damit den Zweck der Prozeßkostenhilfe,

dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht

zu ermöglichen, deutlich verfehlt haben könnte (vgl. BVerfGE

81, 347 [359]). Es ist dem Beschwerdeführer durch die Ableh-

nung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe auch nicht der

Zugang zu den Gerichten verwehrt worden, denn er hatte mit

dem Prozeßkostenhilfeantrag seine Nichtzulassungsbeschwerde

bereits eingelegt und begründet. Auch soweit der Beschwerde-

führer einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hinsichtlich

der Ablehnung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe rügt,

fehlt es an einer ausreichenden Begründung der Verfassungsbe-

schwerde.


- 3-


2. a) Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich der Verwer-

fung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen der Nichtgewährung

der nach seiner Ansicht vorrangigen Sozialversicherungslei-

stungen vor den nur subsidiären Sozialhilfeleistungen eine

Verletzung des Art. 11 GG rügt, fehlt es ebenfalls an einer

hinreichenden Darlegung der Möglichkeit einer solchen Grund-

rechtsverletzung. Das Bundessozialgericht hat über den An-

spruch auf Pflegegeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung

in der Sache nicht entschieden. Es hat vielmehr festgestellt,

daß der Beschwerdeführer die formalen Voraussetzungen der

§§ 160 , 160 a SGG für eine zulässige Nichtzulassungsbeschwer-

de nicht erfüllt hat.


b) Soweit der Beschwerdeführer in der Verwerfung seiner

Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1

GG sowie des "Grundsatzes des sozialen Rechtsstaates (Art. 20

GG )" erblickt, bietet die Verfassungsbeschwerde keine hinrei-

chende Aussicht auf Erfolg.


aa) Gegen den Vertretungszwang nach § 166 SGG bestehen

keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungs-

gericht hat wiederholt ausgesprochen, daß die Anrufung der

Gerichte von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzun-

gen abhängig gemacht werden darf, zu denen auch die ordnungs-

gemäße Vertretung durch einen zugelassenen Prozeßbevollmäch-

tigten gehören kann (vgl. BVerfGE 9, 194 [199 f.]; 10, 264

[267 f.]). Auch folgt aus dem Sozialstaatsprinzip bei dem

durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beschwerdeführer hin-

sichtlich der Anwendung des § 166 SGG keine gesteigerte Für-

sorgepflicht. Es war von Verfassungs wegen nicht geboten, den

Beschwerdeführer auf die fehlende Erfüllung der formalen

Voraussetzungen für eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde

hinzuweisen, zumal aus Art. 103 Abs. 1 GG keine allgemeine

Frage- und Aufklärungspflicht in bezug auf die Rechtsansicht

des Gerichts folgt (vgl. BVerfGE 74, 1 [5]).


- 4-


bb) Im übrigen kann das Bundesverfassungsgericht, da das

Bundessozialgericht lediglich anhand der §§ 160, 160 a SGG

über die Nichtzulassung der Revision wegen formaler Begrün-

dungsmängel entschieden hat, den Beschluß des Bundessozialge-

richts nur daraufhin überprüfen, ob das Revisionsgericht bei

der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulas-

sung der Revision, die den Fachgerichten obliegt, Verfas-

sungsrecht verletzt hat. Verfassungsrecht ist aber nicht

schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen

Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muß gera-

de in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. Verfas-

sungsrecht ist nur dann verletzt, wenn Auslegungsfehler

sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen

Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere

vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer

materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von eini-

gem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]). Derartige

Fehler im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer als verletzt

gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte enthält

der angegriffene Beschluß nicht.


Mit Art. 19 Abs. 4 GG ist es vereinbar, wenn das Bundesso-

zialgericht seine wesentliche Aufgabe in der Wahrung und

Fortentwicklung des Rechts sieht und daher die Zulassung der

Revision aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde von be-

stimmten formalen Voraussetzungen abhängig macht, wie von

Begründungs-, Darlegungs- und Bezeichnungserfordernissen

innerhalb der Begründungsfrist von zwei Monaten nach Zustel-

lung des Urteils gemäß § 160 a Abs 2 Satz 1 und 3 SGG . Da-

nach ist es nicht zu beanstanden, wenn das Bundessozialge-

richt feststellt, eine Abweichung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 2

SGG habe der Beschwerdeführer nicht schlüssig bezeich-

net, weil er die Entscheidung des Bundessozialgerichts, von

der das Urteil des Berufungsgerichts abgewichen sein solle,

nicht mit Datum und Aktenzeichen genau bezeichnet habe und

auch die Angabe fehle, mit welchem tragenden Rechtssatz der

angefochtenen Entscheidung das Landessozialgericht von wel-


- 5 -


cher genau bezeichneten tragenden rechtlichen Aussage einer

Entscheidung des Bundessozialgerichts abgewichen sein solle.

Es ist nachvollziehbar, daß es das Bundessozialgericht

nicht genügen läßt, wenn der Gegner des Beschwerdeführers im

Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren oder der Beschwerdeführer

selbst erst nach Ablauf der Begründungsfrist dasjenige Ur-

teil, von dem das Berufungsgericht abgewichen sein soll, mit

Datum und Aktenzeichen bezeichnet hat. Weiter ist es nach-

vollziehbar, wenn das Bundessozialgericht den Darlegungen des

Beschwerdeführers in seiner Nichtzulassungsbeschwerdeschrift

nicht die Angabe zu entnehmen vermochte, mit welchem tragen-

den Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung des Berufungs-

gerichts von welcher genau bezeichneten tragenden rechtlichen

Aussage einer Entscheidung des Bundessozialgerichts abgewi-

chen sein soll.

Von Verfassungs wegen ist es ferner nicht zu beanstanden,

wenn das Bundessozialgericht im Hinblick auf die Begründung

der Grundsätzlichkeit der Rechtssache im Sinne des § 160

Abs. 2 Nr. 1 SGG die Erläuterung verlangt, daß und warum in

dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtssache erheb-

lich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemein

Bedeutung habe, und wenn es vorliegend in der Begründung der

Nichtzulassungsbeschwerde sowohl die konkrete Formulierung

einer Rechtsfrage als auch die schlüssige Darlegung, warum

das angedeutete Rechtsproblem klärungsbedürftig sei, vermißt.

Schließlich ist es nachvollziehbar, daß das Bundessozialge-

richt davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe in seiner Be-

gründung keinen Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die

angefochtene Entscheidung beruhen könne. Wenn das Bundessozi-

algericht den "Grundsatz der Subsidiarität sozialhilferecht-

licher Leistungen" in durchaus naheliegender Weise als ein

materiell-rechtliches, nicht aber als ein verfahrensrechtli-

ches Problem wertet, so liegt darin auch keine Verletzung des

Art. 103 Abs. 1 GG , denn diese Norm verpflichtet das Gericht

nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE

64, 1 [12]).


- 6 -


Da das Bundessozialgericht danach in verfassungsrechtlich

nicht zu beanstandender Weise zur Annahme der Unzulässigkeit

der Nichtzulassungsbeschwerde gelangt ist, hat es auch nicht

dadurch gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, daß es aus Grün-

den des formellen Rechts auf weiteres Vorbringen des Be-

schwerdeführers, insbesondere dazu, daß das Berufungsgericht

grundlegend fehlerhaft entschieden habe, nicht eingegangen

ist.


3. Da die Verfassungsbeschwerde teilweise unzulässig ist

und im übrigen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat,

ist der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abzuleh-

nen.


Diese Entscheidung ist unanfechtbar. 


Faksimile 1 2 3 4 5 6