BUNDESSOZIALGERICHT
Im Namen des Volkes
Verkündet am
27. Mai 1997
Urteil
in dem Rechtsstreit
Az: 2 RU 38/96
Klägerin und Revisionsbeklagte,
Prozeßbevollmächtigte:
gegen
Bau-Berufsgenossenschaft Hamburg,
Holstenwall 8-9, 20355 Hamburg,
Beklagte und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigter:
Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Mai 1997 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. K. , die
Richter Dr. B. und K. sowie die ehrenamtlichen
Richter B. und L.
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landes-
sozialgerichts vom 7. August 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurück-
verwiesen.
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Gründe:
I
In dem Rechtsstreit um Gewährung von Witwenrente streiten die Beteiligten, ob der Tod
des Ehemannes der Klägerin Folge einer Berufskrankheit (BK) der Nr 4104 der Anlage 1
zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) ist.
Der im Jahre 1944 geborene Ehemann der Klägerin (Versicherter) war nach seiner Aus-
bildung in der Zeit von September 1959 bis Oktober 1963 zum Klempner und Installateur
bis März 1971 in diesem Beruf als Geselle tätig. Nach einer Fortbildung zum Bautechniker
in der Zeit von April 1971 bis September 1972 war er im Bedachungs- und Fassadenbau
bis Juli 1976 als Bauleiter, anschließend bis Juli 1984 als Bauleiter und Abteilungsleiter,
von August 1984 bis Juni 1986 als Niederlassungsleiter, von August 1986 bis August
1987 als Vertriebsleiter sowie ab September 1987 als Oberbau- und Außendienstleiter be-
schäftigt. Während seiner Tätigkeit als Klempner hatte er asbesthaltige Materialien zu be-
arbeiten. Im Bedachungs- und Fassadenbau wurden vorwiegend Bitumen, Asbestzement-
und Betonsteinprodukte verarbeitet.
Im März 1988 trat beim Versicherten ein Doppelbildersehen mit Kopfschmerzen auf. Des-
wegen wurde er im Allgemeinen Krankenhaus B. stationär behandelt. Dabei wurde
ein fortgeschrittenes metastasiertes Bronchialkarzinom diagnostiziert.
Am 4. Mai 1988 zeigte das Krankenhaus der Beklagten an, daß beim Versicherten der
Verdacht auf das Vorliegen einer BK der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO bestehe. Das
daraufhin mit Schreiben vom 26. Mai 1988 an den Chefarzt der neurologischen Abteilung
des Krankenhauses gerichtete Ersuchen, im Falle des Ablebens des Versicherten vor-
sorglich eine Sektion durchzuführen, wurde mit dem Hinweis zurückgewiesen, derartige
Mitteilungen in Zukunft zu unterlassen.
Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt (LVA)
der Freien und Hansestadt Hamburg bei und ermittelte im Anschluß an eine schriftliche
Auskunft des Versicherten bei seinen früheren Arbeitgebern über Art und Dauer seiner
Beschäftigungen sowie welchen Einwirkungen er dabei ausgesetzt war. Aus den Berich-
ten des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 20. Oktober und
21. Dezember 1988 ergab sich ua, daß der Versicherte im September 1988 verstorben
war. Die Beklagte zog die Krankenblätter des Allgemeinen Krankenhauses B.
und der Reha-Klinik D. über die Behandlungen des Versicherten bei.
Am 30. Januar 1989 unterrichtete die Klägerin die Beklagte telefonisch, daß ihr Ehemann
am 17. September 1988 verstorben sei. Es habe eine Erdbestattung stattgefunden. Mit
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Schreiben vom 19. Juli 1989 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß zur Feststellung ei-
ner BK eine Obduktion erforderlich sei und fragte zugleich an, ob - sofern eine solche
nicht bereits durchgeführt worden sei - die Klägerin einer Exhumierung und Untersuchung
des Leichnams ihres Ehemannes zustimme. Diese teilte mit, daß eine Obduktion nicht
vorgenommen worden sei; sie sei nicht sicher, ob sie einer Exhumierung zustimmen
solle, da ihr Ehemann bereits vor zehn Monaten verstorben sei. Nach Ablauf einer
eingeräumten Bedenkzeit erklärte die Klägerin mit ihrer am 11. August 1989 bei der
Beklagten eingegangenen Erklärung ihr Einverständnis mit einer Exhumierung und
Untersuchung des Leichnams ihres Ehemannes.
Der Arzt für innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S. teilte auf Anfrage
der Beklagten mit, daß eine Exhumierung sinnlos sei, weil seit dem Ableben des Versi-
cherten mehr als sechs Monate vergangen seien. Nach Einholung eines Gutachtens von
Dr. S. vom 18. April 1990 sowie einer Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearz-
tes der Freien und Hansestadt Hamburg vom 1. Juli 1990 lehnte es die Beklagte ab, der
Klägerin Hinterbliebenenleistungen aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes zu gewähren.
Nach den ärztlichen Feststellungen könne das Vorliegen einer Asbestose nicht wahr-
scheinlich gemacht werden. Es bestehe nach dem ermittelten Sachverhalt allenfalls die
Möglichkeit einer beruflichen Krebsentstehung. Die anspruchsbegründenden Tatsachen
seien trotz umfangreicher Ermittlungen nicht bewiesen (Bescheid vom 21. August 1990
idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 1991).
Das Sozialgericht (SG) hat nach Einholung eines Gutachtens mit ergänzender Stellung-
nahme von dem Arzt für innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. L. vom
18. Februar 1993/12. Oktober 1993 die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Dezember
1993).
Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Einholung eines Gutachtens des Arztes für in-
nere Medizin und Sozialmedizin Prof. Dr. W. vom 1. April 1996 das Urteil des SG
aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren
(Urteil vom 7. August 1996). Der Tod des Versicherten sei auf eine BK der Nr 4104 der
Anlage 1 der BKVO zurückzuführen. Zwar stehe nicht fest, daß der Versicherte während
seiner beruflichen Tätigkeit den Einwirkungen von Asbestfaserstaub in einem Umfang von
25 Faserjahren ausgesetzt gewesen sei. Auch die weiteren Tatbestandsalternativen einer
BK nach der Nr 4104 stünden wegen fehlender Röntgen-, computertomographischer und
feingeweblicher Untersuchungsbefunde nicht fest. Schließlich sei auch nachträglich keine
Obduktion durchgeführt worden. Der medizinische Sachverhalt könne insoweit im Nach-
hinein nicht mehr aufgeklärt werden. Nach allem steht zwar fest, daß der Versicherte an
einem Lungenkrebs verstorben sei, nicht aber, daß bei dem Versicherten eine Asbest-
staublungenerkrankung oder eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura
vorgelegen habe. Dies schließe jedoch nicht die Feststellung aus, daß der Versicherte in-
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folge einer BK nach der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO verstorben sei. Wegen der be-
sonderen Umstände des Falles reiche es zur Anspruchsbegründung aus, daß bei dem
Versicherten möglicherweise eine Asbestose vorgelegen habe. Denn die Beweislage sei
auf das Verhalten der Beklagten zurückzuführen. Sie habe schuldhaft versäumt, den me-
dizinischen Sachverhalt aufzuklären. Durch das Verhalten der Beklagten sei die Klägerin
in einen Beweisnotstand geraten. Diesen Umständen sei bei den Anforderungen an den
Nachweis der anspruchsbegündenden Tatsachen Rechnung zu tragen. Es sei zwar keine
Umkehr der Beweislast anzunehmen. Wenn der beweisbelastete Beteiligte durch das
schuldhafte Verhalten des Gegners in einen Beweisnotstand gerate, könne das Gericht
aber dem dadurch Rechnung tragen, daß es an den Nachweis der Tatsachen, auf die
sich der Beweisbelastete beziehe, weniger hohe Anforderungen stelle. Im vorliegenden
Falle reiche deshalb lediglich die Möglichkeit des Vorhandenseins einer Asbestose aus.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gehe das LSG davon aus, daß der Versi-
cherte möglicherweise an einer Minimalasbestose erkrankt gewesen sei. Der Versicherte
sei über eine Reihe von Jahren mit der Verarbeitung von Asbest befaßt gewesen. Das sei
die wesentliche Voraussetzung für das Entstehen einer Asbestose. Damit seien die Vor-
aussetzungen für die Bejahung einer BK iS der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO erfüllt.
Dem stehe auch nicht die Annahme entgegen, daß der Versicherte nach Aktenlage Rau-
cher gewesen sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte, daß das LSG zu Unrecht
die fehlenden bzw nicht festgestellten Tatbestände der BK der Nr 4104 der Anlage 1 zur
BKVO meine dadurch ersetzen zu können, daß es der Beklagten eine schuldhafte Be-
weisverhinderung anlaste. Die Begründung des LSG laufe im Ergebnis darauf hinaus, daß
es zu Lasten der Beklagten eine Umkehr der Beweislast vorgenommen habe. Diese Fol-
gerung sei aber mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unvereinbar. Im
vorliegenden Fall habe entgegen der Auffassung des LSG eine schuldhafte Beweisverei-
telung durch die Beklagte nicht vorgelegen. Selbst wenn die Beklagte sofort tätig gewor-
den wäre und die erforderlichen Genehmigungen eingeholt hätte, hätte die Obduktion erst
nach einem Zeitraum von fünf bis sechs Monaten nach dem Ableben des Versicherten
durchgeführt werden können. Das LSG gehe aber selbst davon aus, daß eine Obduktion
spätestens "bis zu sechs Monaten" nach dem Tode hätte durchgeführt werden müssen,
um eine Asbestose oder eine asbestbedingte Veränderung der Pleura nachweisen zu
können. Unabhängig davon begegne die Beweisführung des LSG durchgreifenden Be-
denken. Es unterstelle, daß bei dem Versicherten möglicherweise eine Asbestose vorge-
legen habe. Alsdann gewähre das LSG der Klägerin eine weitere Beweiserleichterung
aufgrund des Beweisnotstandes und sehe die Möglichkeit des Vorhandenseins einer As-
bestose, die es mangels konkreter Nachweise und Anhaltspunkte selbst unterstellt habe,
als ausreichend an. Das LSG komme also im Ergebnis entgegen der Rechtsprechung
des BSG zu einer Umkehr der Beweislast. Das LSG habe daher nicht nur die
Rechtsprechung des BSG, sondern auch die nicht vorhandenen Tatsachen verfälscht, um
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zu dem von ihm gewünschten Ergebnis zu kommen. Das LSG hätte auch berücksichtigen
müssen, daß der Versicherte ein starker Raucher gewesen sei und nach seinen eigenen
Angaben 20 Zigarillos pro Tag geraucht habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. August 1996
aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Itzehoe vom 16. Dezember 1993 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe
das LSG keineswegs eine Umkehr der Beweislast vorgenommen. Unverständlich sei
auch der Vortrag der Beklagten darüber, daß eine schuldhafte Beweisvereitelung durch
sie nicht vorgelegen habe.
II
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuhe-
ben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzu-
verweisen ist. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den
Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
zu entscheiden.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversiche-
rungsordnung (RVO), da die von ihr geltend gemachte BK ihres Ehemannes vor dem In-
krafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 1. Januar 1997
eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes <UVEG>, § 212
SGB VII).
Der Anspruch auf Witwenrente besteht gemäß § 589 Abs 1 RVO "bei" Tod durch Arbeits-
unfall. Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist ein Unfall, den ein Versicherter bei
einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Als Ar-
beitsunfall gilt nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind die Krankheiten,
welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung bezeichnet und die sich ein Versi-
cherter bei einer versicherten Tätigkeit zugezogen hat.
Das LSG hat die Voraussetzungen für den Anspruch auf Hinterbliebenenrente im vorlie-
genden Rechtsstreit als erfüllt angesehen, weil der Tod des Versicherten auf eine BK der
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Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO zurückzuführen sei. Das LSG hat dabei auf die BK der
Nr 4104 idF der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992
(BGBl I, S 2343) abgestellt, die nach Art 2 Abs 1 dieser Verordnung am 1. Januar 1993 in
Kraft getreten ist. Nach der Rückwirkungsklausel des Art 2 Abs 2 dieser Verordnung
könnte sie jedoch nur angewandt werden, wenn der Versicherungsfall erst nach dem
31. März 1988 eingetreten ist. Dies war vorliegend aber nicht der Fall, weil sich der Versi-
cherte bereits ab dem 22. März 1988 wegen des Bronchialkarzinoms in stationärer Be-
handlung befand. Es kann daher hier ungeprüft bleiben, ob die Einwirkung einer kumulati-
ven Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren nachgewie-
sen ist. Somit ist die frühere Fassung der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO maßgebend.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO vom 22. März 1988
(BGBl I, S 400) oder deren Vorgängerin, die BKVO idF der Änderungsverordnung vom
8. Dezember 1976 (BGBl I, S 3329), anzuwenden ist, da der hier einschlägige Tatbe-
stand, Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) in Verbindung mit Lungenkrebs, der
BK der Nr 4104 im Wortlaut zwar verändert wurde, inhaltlich aber keine Änderungen
erfahren hat. Nach der Fassung der BK der Nr 4104 der Anlage 1 der BKVO vom
22. März 1988 zählt als BK "Lungenkrebs in Verbindung mit
Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder mit durch Asbeststaub verursachter
Erkrankung der Pleura".
Die Voraussetzungen der Nr 4104 in der hier maßgebenden Fassung stehen nach An-
sicht des LSG nicht fest, weil wegen fehlender Röntgen-, computertomographischer oder
feingeweblicher Befunde nicht festgestellt werden kann, daß bei dem Versicherten eine
Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder eine durch Asbeststaub verursachte Er-
krankung der Pleura vorlag. Auch eine Obduktion oder rechtzeitig durchgeführte Exhu-
mierung und Untersuchung des Leichnams, wodurch eine Klärung, ob eine Asbeststaub-
erkrankung vorgelegen hat, möglich gewesen wäre, sei nicht durchgeführt worden. We-
gen der besonderen Umstände des Falles reiche es zur Anspruchsbegründung aus, daß
bei dem Versicherten möglicherweise eine Asbestose vorgelegen habe. Denn die Beweis-
lage sei auf das Verhalten der Beklagten zurückzuführen, die es schuldhaft versäumt ha-
be, den medizinischen Sachverhalt aufzuklären.
Die Ausführungen, mit denen die Beklagte sich gegen die Auffassung des LSG wendet,
das Unterbleiben der Obduktion bzw der rechtzeitigen Exhumierung und Untersuchung
des Leichnams des Versicherten sei auf eine schuldhafte Vernachlässigung ihrer Ermitt-
lungspflicht (§ 20 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches <SGB X>) zurückzuführen, sind
unbegründet. Sie hat nach den Feststellungen des LSG bereits im Oktober 1988 und spä-
ter noch einmal im Dezember 1988 erfahren, daß der Versicherte im September 1988
verstorben war, ohne unverzüglich Ermittlungen hinsichtlich des medizinischen Sachver-
halts anzustellen. Der Beklagten oblag es im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht auch
festzustellen, ob Rechtsnachfolger iS des § 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) und
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Hinterbliebene iS des § 589 RVO vorhanden waren. Schon deshalb ist der Hinweis der
Revision unbeachtlich, der Beklagten seien Angehörige des Versicherten nicht bekannt
gewesen.
Vor allem übersieht die Beklagte, daß der Vorwurf des LSG, ihre Pflicht zur Amtsermitt-
lung dahingehend, ob beim Versicherten eine Asbeststaublungenerkrankung bzw eine
durch Asbeststaub verursachte Erkrankung des Zwerchfelles vorlag, verletzt zu haben,
sich auch auf den Zeitraum vor dem Tode des Versicherten bezieht. Nach den Feststel-
lungen des LSG war der Beklagten bereits seit dem 4. Mai 1988 durch die Anzeige des
Allgemeinen Krankenhauses B. bekannt, daß beim Versicherten der Verdacht des
Vorliegens einer BK der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO bestand, ohne daß von ihr - vor
allem in Hinblick auf den ihr bekannten Gesundheitszustand des Versicherten - unver-
züglich die erforderlichen medizinischen Untersuchungen und Begutachtungen veranlaßt
wurden. Hinzu kommt, daß im Falle rechtzeitiger Ermittlungen der Klägerin ggf für das
Feststellungsverfahren über ihre Hinterbliebenenansprüche die Rechtsvermutung des
§ 589 Abs 2 Satz 2 RVO zugute gekommen wäre. Auch diese mögliche Rechtsvermutung
der Klägerin wurde durch das Verhalten der Beklagten vereitelt.
Dagegen sind nach der Auffassung des erkennenden Senats die Rügen der Revision be-
rechtigt, mit denen sie sich gegen die Schlußfolgerungen wendet, die das LSG aus dem
von der Beklagten verschuldeten Beweisnotstand der Klägerin gezogen hat. Das LSG
geht entsprechend der Rechtsprechung des BSG (BSGE 24, 25; 41, 297, 300; BSG SozR
Nr 60 zu § 128 SGG) und der Literatur (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 103 RdNrn 18,
19; § 128 RdNr 18; Bley in Gesamt-Komm, § 128 SGG Anm 4a ff; Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, III, RdNrn 29, 159) von dem Grund-
satz aus, daß bei einem Beweisnotstand, auch wenn er auf einer fehlerhaften Beweiser-
hebung oder sogar auf einer Beweisvereitelung durch denjenigen beruht, dem die Uner-
weislichkeit der Tatsachen zum prozessualen Vorteil gereicht, keine Umkehr der Beweis-
last eintritt. Vielmehr sind die Tatsachengerichte in einem derartigen Fall berechtigt, im
Rahmen der vielfältigen Möglichkeiten der Beweiswürdigung (s ua Baumgärtel, Beweis-
lastpraxis im Privatrecht, 1996, S 152 ff) an den Beweis der Tatsachen, auf die sich der
Beweisnotstand bezieht, weniger hohe Anforderungen zu stellen (BSGE 24, 25). An die-
ser, auch vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) geteilten Rechtsauffassung
(BVerwGE 10, 270) hält der Senat trotz der beachtlichen abweichenden Ausführungen
von Keller (SGb 1995, 474) fest. Auch Keller geht zutreffend und in Übereinstimmung mit
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) davon aus, einem Beweisnotstand
jedenfalls zunächst einmal im Rahmen der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen. Die
Fälle, in denen nach der Rechtsprechung des BGH eine Beweislastumkehr zu prüfen ist
(vgl Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, Band 1, 2. Aufl 1991, § 823 II RdNr 51, § 823
Anhang C II RdNrn 33, 64 und Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht aaO S 267 ff,
297), unterscheiden sich wesentlich von denen, die dem vorliegenden Fall entsprechen (s
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auch Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht aaO S 266, RdNr 453). Insbesondere
kommt es weder im Rahmen der Amtsermittlungspflicht der Sozialleistungsträger (s
BVerwGE 10, 270, 272) noch grundsätzlich für die geltend gemachten materiell-
rechtlichen Ansprüche der Versicherten darauf an, ob einem der Beteiligten - oder in der
gesetzlichen Unfallversicherung dem Arbeitgeber - ein Verschulden trifft (vgl Baumgärtel
aaO § 823 Anhang C II RdNr 33; s auch BGH NJW 1985, 1774, 1775 und 1992, 754,
755). Eine gegenüber der Berücksichtigung des Beweisnotstandes im Rahmen der Be-
weiswürdigung sichere Handhabung bietet auch eine Beweislastumkehr nicht, deren Ein-
tritt ebenfalls nicht generell bei fehlerhafter Beweiserhebung oder Beweisvereitelung, son-
dern in diesen Fällen je nach den Umständen des Einzelfalls flexibel gestaltet sein
(Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht aaO S 266 RdNr 453) und als letzte der sich
an die Beweiswürdigung anschließenden Maßnahmen eintreten soll (s auch BGHZ 72,
132, 139; Baumgärtel Handbuch aaO § 823 II RdNr 51, § 823 Anhang C II RdNr 64 und
Beweislastpraxis im Privatrecht aaO S 297 RdNr 508).
Die ständige Rechtsprechung des BSG, die sich im Ergebnis nicht zwangsläufig von de-
nen der Gegenmeinung und der Rechtsprechung des BGH unterscheiden muß, vermag
auch bei Beweisnotstand den in diesem Zusammenhang vom Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) betonten Grundsätzen - insbesondere des fairen Verfahrens und der Waffen-
gleichheit - wirksam zu beachten (s BVerfGE 52, 131, 153, 158; 54, 148, 157; s auch
BGHZ aaO; BVerfG DVBl 1991, 154; Reinhardt NJW 1994, 93). Es bleibt dem Tatsa-
chengericht im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung überlassen, je nach
den Besonderheiten des maßgebenden Einzelfalls schon einzelne Beweisanzeichen, im
Extremfall ein Indiz ausreichen zu lassen für die Feststellung einer Tatsache oder der dar-
aus abgeleiteten Bejahung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Hätte das LSG im Hinblick auf den Beweisnotstand der Klägerin aufgrund der gesamten
Umstände des vorliegenden Falles die Voraussetzungen der BK Nr 4104 und die Wahr-
scheinlichkeit des Kausalzusammenhangs zwischen dieser BK und dem Tod des Versi-
cherten bejaht, so wäre dies revisionsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden gewe-
sen.
Die demgegenüber vom LSG aus den angeführten Grundsätzen gezogene rechtliche
Schlußfolgerung, daß schon die Möglichkeit des Vorhandenseins einer Asbestose beim
Versicherten ausreiche, ist unzutreffend (s auch BGH NJW 1990, 1721). Denn die Be-
fugnis der Tatsachengerichte, im Falle eines unverschuldeten Beweisnotstands ange-
sichts der konkreten Umstände des Einzelfalles an den Beweis weniger hohe Anforde-
rungen zu stellen, basiert auf dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung
(§ 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Dieser Grundsatz bezieht sich nur auf
die zu würdigenden Tatsachen; er schließt nicht die Befugnis ein, das Beweismaß zu ver-
ringern oder frei darüber zu entscheiden, ob die Gewißheit erforderlich oder die Wahr-
scheinlichkeit ausreicht oder sogar die Möglichkeit genügt, damit eine Tatsache als fest-
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gestellt oder der Kausalzusammenhang als gegeben angesehen werden kann. Die zu-
grunde zu legenden Beweismaßstäbe sind anders als die Beweiswürdigung im engeren
Sinn revisionsgerichtlich nachprüfbar (vgl Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl
1994, § 108 VwGO RdNr 5).
Das LSG ist aufgrund seiner Rechtsauffassung von einem anderen Beweismaßstab bei
der Beurteilung des Kausalzusammenhangs ausgegangen und hat darauf seine Beweis-
würdigung ausgerichtet. Dem Revisionsgericht ist eine eigene Würdigung der Beweise
verwehrt. Deshalb mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneu-
ten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.