Bundessozialgericht
9 BV 39/88
Beschluß
in dem Rechtsstreit
Kläger und Beschwerdeführer,
Prozeßbevollmächtigter:
gegen
Beklagte und Beschwerdegegnerin.
Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. November
1988
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision durch das Landessozialgericht Hamburg im Urteil
vom 19. Januar 1988 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
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Gründe:
Die Revision ist nicht gemäß den §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 Sozial-
gerichtsgesetz (SGG) zuzulassen, weil die Voraussetzungen, unter
denen ein - hier allein geltend gemachter - Verfahrensmangel zur
Zulassung der Revision führen kann, nicht erfüllt sind. Nach
§ 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbs SGG kann die Rüge eines Verfahrens-
mangels nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden,
wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozi-
algericht (LSG) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger räumt ein, daß er eine Verletzung des § 109 SGG im
Beschwerdeverfahren nicht rügen kann, soweit das LSG dem Antrag,
die Neurologin und Psychiaterin Dr. H. zu hören, nicht gefolgt
ist. Er meint aber, in dem zu Protokoll erklärten und auf 3 109
SGG gestützten Antrag läge ein Beweisantrag, dem das LSG bereits
in Erfüllung seiner Pflicht zur Sachaufklärung nach § 103 SGG von
Amts wegen habe folgen müssen; mit der Ablehnung dieses Antrags
sei also nicht nur § 109 SGG, sondern auch § 103 SGG verletzt. In
einem auf § 109 SGG gestützten Antrag auf Anhörung eines be-
stimmten Arztes sei notwendig ein Beweisantrag nach § 103 SGG
enthalten. Dem ist nicht zu folgen.
Für seine Rechtsauffassung kann sich der Kläger zwar auf Meyer-
Ladewig, Kommentar zum SGG, 3. Aufl, 5 160 RdNr 18 stützen; eine
Begründung fehlt hier jedoch. Auch der 1. Senat des Bundessozial-
gerichts (BSG) hat in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom
5. April 1988 - 1 BA 255/87 - unter Hinweis auf diese Kommentar-
stelle ohne Begründung unterstellt, daß ein Antrag nach § 109 SGG
ein Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG sei; er hat aber die
Beschwerde aus einem anderen Grund als unzulässig verworfen.
Stellt der Kläger einen Antrag nach § 109 SGG, so mag zwar aus
seiner Sicht der Sachverhalt häufig noch nicht hinreichend aufge-
klärt sein; das kann aber nicht dazu führen, in jedem Antrag nach
§ 109 SGG zugleich die Aufforderung an das Gericht zu erkennen,
in erster Linie von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzu-
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klären. Der Antrag nach § 109 SGG wäre damit immer als soge-
nannter Hilfsantrag aufzufassen. So ist der Antrag nach § 109 SGG
aber in der Rechtsprechung nie verstanden worden. Es ist zwar
anerkannt worden, daß der Antrag als Hilfsantrag gestellt werden
kann (BSG SozR SGG § 109 Nr 17). Wird der Antrag aber nicht aus-
drücklich als Hilfsantrag bezeichnet, so ist er als Inanspruch-
nahme der Berechtigung aufzufassen, unbeschadet der gerichtlichen
Sachaufklärungspflicht einen Arzt des Vertrauens zu hören. Er hat
eine andere Zielrichtung als die in § 103 SGG erwähnten Beweisan-
träge.
Der Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG
zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag iS
dieser Vorschrift sein (ebenso Zeihe, SGG, 5. Aufl, § 160
Anm 25e). Wenn ein solcher Antrag gestellt wird, muß zwar nicht
diese Vorschrift ausdrücklich erwähnt werden; es muß jedoch un-
zweifelhaft erkennbar sein, daß eine weitere Sachverhaltsaufklä-
rung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Das ergibt
sich aus dem Sinn und Zweck der nur beschränkten Eröffnung der
Revisionsinstanz bei Verfahrensfehlern. § 160 SGG in der gegen-
wärtigen Fassung ist durch das Gesetz vom 30. Juli 1974 (BGBl I
1625) mit der Absicht eingefügt worden, die Revisionsinstanz von
den zuvor in großer Zahl anfallenden sogenannten Verfahrensrevi-
sionen zu entlasten (vgl Begründung des Regierungsentwurfs
BT-Drucks 7/861). Gerade die häufigsten, auf die Verletzung der
§§ 103, 109 und 128 SGG gestützten Verfahrensrevisionen sollten
eingeschränkt werden. Während die Verletzung der §§ 109 und 128
SGG überhaupt nicht mehr zur Zulassung der Revision führen kann,
ist für eine Rüge der Verletzung des § 103 SGG ein Beweisantrag
als erforderlich angesehen worden, der diese Rüge bereits in der
Berufungsinstanz vorbereitet. Diese Regelung mag in einem nicht
einem Vertretungszwang unterworfenen Verfahren systemfremd er-
scheinen (vgl dazu Krasney, Die Ersatzkasse 1973, 312; 197A, 330;
derselbe, Der Kompaß, 197A, 303). Die Regelung läßt aber er-
kennen, daß auch die wegen einer Verletzung des § 103 SGG zuzu-
lassende Revision die Ausnahme bleiben soll; sie soll sich auf
Aufklärungsmängel beschränken, auf die das Gericht bereits vor
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der Entscheidung hingewiesen worden ist. Für diesen Hinweis ver-
langt das Gesetz überdies eine besondere Form, nämlich einen Be-
weisantrag, der grundsätzlich auch das Beweisthema und das Be-
weismittel enthalten muß (vgl Meyer-Ladewig aaO und BSG SozR 1500
§ 160a Nr 2N). Erst wenn der Tatsacheninstanz durch einen Beweis-
antrag vor der Entscheidung noch einmal deutlich vor Augen ge-
führt worden ist, daß der Kläger die gerichtliche Sachaufklä-
rungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als erfüllt
ansieht, soll das Übergehen eines solchen Antrages oder eine
nicht hinreichend begründete Ablehnung die Revisionsinstanz und
damit die weitere Sachaufklärung nach Zurückverweisung des
Rechtsstreits in die Tatsacheninstanz ermöglichen. Der Beweisan-
trag hat somit auch warnfunktion. Der Senat hat deshalb schon für
eine schlüssige Darlegung des Verfahrensverstoßes stets verlangt,
daß der Antrag in das Protokoll über die mündliche Verhandlung
aufgenommen worden ist oder sich aus dem Urteilsinhalt ergibt
oder schriftsätzlich vorgebracht und bis zum Ende der Sitzung
aufrechterhalten worden ist (vgl Beschluß vom 15. Februar 1988
- 9/9a BV 196/87 - zur Veröffentlichung bestimmt; ferner BSG SozR
1500 § 160 Nr 12). Der Kläger hat hier seinen Antrag zwar aus-
drücklich zu Protokoll erklärt; indem er sich aber auf § 109 SGG
bezog und einen bestimmten ärztlichen Sachverständigen nannte,
hat er zumindest nicht hinreichend erkennbar gemacht, daß er noch
eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen für erforderlich
hielt, obwohl ihm das LSG zuvor mitgeteilt hatte, daß von Amts
wegen keine weiteren Gutachten mehr eingeholt würden. Das LSG hat
den gestellten Antrag auch nur als Ausübung des Rechts nach § 109
SGG aufgefaßt und als verspätet zurückgewiesen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.