Bundessozialgericht
- 11 BA 8775 -
Beschluß
in dem Rechtsstreit
Kläger und Revisionskläger,
gegen
Beklagte und Revisionsbeklagte
Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am
22. August 1975 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. B. und die Richter H.
und Dr. Z. sowie die ehrenamtlichen
Richter V. und Dr. L.
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Januar 1975 wird zurück-
gewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind
nicht zu erstatten.
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Der Kläger war nach seinem Hochschulstudium von August
1932 bis April 1934 arbeitslos, aber nicht beim Arbeits-
amt gemeldet. Er begehrt dennoch von der Beklagten die
Anerkennung (Vormerkung) dieser Zeit als Ausfallzeit
im Sinne des § 36 Abs.1 Nr. 3 des Angestelltenver-
sicherungsgesetzes (AVG).Die Beklagte hat das abge-
lehnt. Klage und Berufung waren ohne Erfolg.Nach An-
sicht des Landessozialgerichts (LSG) ist es nicht grund-
gesetzwidrig (willkürlich), daß das Gesetz die Anrech-
nung einer Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit von der
Arbeitslosmeldung abhängig macht und für ehemals un-
beschäftigte Jungakademiker keine Ausnahme zuläßt.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.Mit der
dagegen eingelegten Beschwerde beantragt der Kläger
die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Be-
deutung der Rechtssache. In der damals herrschenden
größten Arbeitslosigkeit sei - insbesondere für Jung-
akademiker - eine Meldung beim Arbeitsamt nutzlos ge-
wesen, weil die Arbeitsämter keine Stellen hätten ver-
mitteln können. Damit stelle sich die Frage, ob § 36
Abs. 1 Nr. 3 AVG mit der Verfassung im Einklang stehe,
soweit das Gesetz von seinen Vorteilen die große
Gruppe der Arbeitslosen ausschließe, die sich wegen
Nutzlosigkeit nicht beim Arbeitsamt gemeldet hätten.
Diese Frage sei noch nicht entschieden.
Die Beschwerde ist zulässig. Zu den Voraussetzungen der
Zulässigkeit gehört nach § 160 a Abs. 2 Satz 3 SGG,
daß in der (fristgebundenen) Beschwerdebegründung die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt
wird. Demgemäß ist in der Begründung die zu entscheidende Rechts-
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frage klar zu bezeichnen; außerdem muß ersichtlich sein,
weshalb ihrer Klärung eine grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Das gilt auch, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Vor-
schrift behauptet wird. Hier kann die bloße Behauptung
der Verfassungswidrigkeit nicht ausreichen; vielmehr
muß dargetan sein, welche Vorschrift des Grundgesetzes
verletzt ist und aus welchen Gründen. Insbesondere bei
behaupteten Verstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz ist
zu erläutern, worin Ungleichbehandlung und Willkür er-
blickt werden (vgl. BVerwG, Buchholz, 448.3 § 7 USG
Nr. 1); erst dann sind Inhalt und Bedeutung der zu
entscheidenden Rechtsfrage der Verfassungswidrigkeit
genügend gekennzeichnet. Diesen Anforderungen genügt
indessen die Beschwerdebegründung des Klägers; es ist
vor allem nicht zweifelhaft, daß und warum er Art. 3
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) für verletzt erachtet.
Auch sonst sind Bedenken gegen die Zulässigkeit der Be-
schwerde nicht gegeben.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
Der Senat kann allerdings nicht der Meinung des Bundes~
gerichtshofs (BGH) folgen, daß die Frage der Verfassungs~
mäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen
Vorschrift die Zulassung einer Revision wegen grundsätz-
licher Bedeutung der Rechtssache nicht rechtfertigen
könne (Rzw 1964, 225; 1967, 368). Der BGH begründet diese
Ansicht damit, daß eine solche Zulassung nur das Ver-
fahren verzögere, weil gegen eine die Verfassungsmäßig-
keit bejahende Entscheidung noch der Weg der Verfassungs-
beschwerde zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) offen-
stehe; die Verfassungswidrigkeit könne nur vom BVerfG
ausgesprochen werden; dieses könne aber auch angerufen
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werden, wenn die Revision nicht zugelassen werde. Dem
ist jedoch entgegenzuhalten, daß das BVerfG auch bei
Fragen der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, wenn
diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist, vor der
Einlegung der Verfassungsbeschwerde zur Erschöpfung
des Rechtsweges die Einlegung der Nichtzulassungsbe-
schwerde verlangt (BVerfG 16, 3; vgl. auch 21, 167).
Im übrigen ist die Klärungsfähigkeit auch dieser Rechts-
fragen im Revisionsverfahren nicht zu bestreiten, selbst
wenn eine Klärung im Sinne der Verfassungswidrigkeit
nur durch Anrufung des BVerfG möglich ist. Zu Recht
schließt deshalb das BVerwG die Zulassung einer Revision
zur grundsätzlichen Klärung der Verfassungsmäßigkeit
bzw. - widrigkeit einer Vorschrift nicht aus (vgl.
BVerwG, Buchholz aaO sowie 232 § 90 BBG Nr. 14 und
235.16 § 5 LBesG Nr. 1). Wegen der Divergenz zum BGH
braucht der erkennende Senat allerdings nicht den Ge-
neinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes
anzurufen; dies ist jedenfalls deshalb nicht erfor-
derlich, weil der Senat aus anderen Gründen hier eben-
falls zur Zurückweisung der Beschwerde kommt.
Der Senat hält die Rechtsfrage nämlich nicht für
klärungsbedürftig. Richtig ist zwar, daß über die Ver-
fassungsmäßigkeit des Erfordernisses der Arbeits-
losmeldung in § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG bzw. § 1259 Abs. 1
Nr. 3 RVO, sei es allgemein, sei es für die vom Klä-
ger bezeichnete Gruppe, soweit bekannt, bisher weder
vom BSG noch vom BVerfG entschieden worden ist. Wenn
auch Ausführungen in mehreren Urteilen des BSG
(vgl. SozR Nr. 13, 35 und 50 zu § 1259 RVO) die Arbeits-
losmeldung wiederholt als zusätzliches gesetzliches
Tatbestandsmerkmal bezeichnen, ohne die eine Arbeitslo-
sigkeit nicht als Ausfallzeit anerkannt werden kann,
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so ist doch nicht ersichtlich, daß in diesen Urteilen eine
beantragte Anrechnung einer Arbeitslosigkeit wegen der
fehlenden Meldung abgelehnt worden ist; andererseits haben
diese Urteile keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
dieser Vorschrift erkennen lassen.
Wie der Senat im Beschluß vom 4. Juni 1975 (11 BA 4/75)
dargelegt hat, kann indessen eine Rechtsfrage auch ohne
einschlägige.Rechtsprechung dann nicht klärungsbedürftig
sein, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch
außer Zweifel steht. Das ist hier der Fall. Die angeführ-
ten Urteile des BSG (vgl. Nr. 13 und 35) haben bereits die
Gründe deutlich gemacht, weshalb der Gesetzgeber die Ar-
beitslosmeldung fordert. Der Gesetzgeber wollte eine zu-
sätzliche Sicherung für das Bestehen echter Arbeitslosig-
keit. Er wollte bei den in Betracht kommenden bis 1927
zurückreichenden Zeiträumen Mißbräuche ausschließen und
sicherstellen, daß der Arbeitslose auch ernstlich arbeits-
willig war und der Arbeitsvermittlung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt zur Verfügung stand. Das sind sachlich ein-
leuchtende Gründe.
Im übrigen hat der Kläger das Erfordernis der Arbeits-
losmeldung nicht allgemein als verfassungswidrig bezeichnet.
Bei der Prüfung von Zulassungsgründen ist der Senat auf
die geltend gemachten Gründe beschränkt. Entscheidend ist
daher die Frage, ob das Erfordernis der Arbeitslosmeldung
gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit es auch für Arbeits-
lose gilt, bei denen eine Meldung beim Arbeitsamt von vorn-
herein nutzlos erschien, insbesondere in der hier streitigen
Zeit. Auch hier kann jedoch von Willkür keine Rede sein. Es
ist schon nicht dargetan, daß Meldungen in der Zeit der
"größten Arbeitslosigkeit" allgemein wirklich nutzlos gewe-
sein seien; keinesfalls läßt sich das für alle in Betracht
kommenden Vermittlungen annehmen. Hinzu kommt, daß sich
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die vom Kläger bezeichnete Gruppe nicht sinnvoll abgrenzen
läßt.
Abgesehen von der bestehenden Arbeitslosigkeit und der
Meldung beim Arbeitsamt erfordert § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG
außerdem, daß der Arbeitslose versicherungsmäßiges Ar-
beitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe oder Fürsorgeunter-
stützung oder Familienunterstützung bezogen hat oder daß
eine dieser Leistungen wegen Zusammentreffens mit anderen
Bezügen, wegen eines Einkommens oder wegen der Berück-
sichtigung von Vermögen nicht gewährt worden ist. Auf
dieses weitere Tatbestandserfordernis ist der Kläger in
der Beschwerdebegründung nicht eingegangen; auch aus dem
angefochtenen Urteil des LSG ist nicht zu ersehen, ob eine
dieser alternativen weiteren Voraussetzungen beim Kläger
gegeben ist. Der Senat kann jedoch offenlassen, ob die in-
soweit fehlenden Feststellungen und Ausführungen ebenfalls
dem Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde hätten im wege
stehen müssen.
Die Beschwerde ist nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender An-
wendung des § 193 SGG. .